Ein Wassertopfen fällt von einer losen Strähne auf meinen Unterarm. Ich streiche die Haare aus der Stirn und als ich aufsehe, fällt mein Blick auf einen Buchrücken.
Kunst & Eros: Zur Psychologie der bildlichen Darstellung im Werk von Otto Dix. Was für ein Poser. Wer schleppt denn so ein Buch mit in die Sauna? Ich lasse mich etwas abseits auf eine der Liegen sinken und schließe die Augen. Aus den Lautsprechern dringen einschläfernde Harfenklänge an mein Ohr, doch Entspannung will sich nicht einstellen. Ich bin zwar hergekommen, um zu relaxen, aber nicht auf diese Art.
Unter dem Handtuch schiebe ich den Zeigefinger prüfend zwischen meine Beine. Während ich von oben bis unten feucht bin, finde ich dort nur dürre Einöde. Was habe ich mir auch dabei gedacht? Der Artikel über den gepflegten Pick-Up in der FHM war ja ganz nett, aber ich war schon oft genug im Dampfbad, um zu wissen, dass es dort eigentlich nur bierbäuchige Mittsechziger und selbstabsorbierte BWL-Studenten gibt. Was tue ich bloß hier?
Ich schaue zurück zu dem Buchrücken. Eros. Ja, klar. Vielleicht im örtlichen Center gleichen Namens, aber nicht hier. Der bräsige LKW-Fahrer aus Raum Nummer 3, der meine Titten begutachtet hat wie die samstägliche Auslage beim Stammfleischer, kennt sich dort bestimmt bestens aus.
Unter der hochtrabenden Lektüre sind zwei dezent gebräunte Beine ausgestreckt, die Füße übereinandergeschlagen. Der rechte große Zeh streicht immer wieder über den Zeigezeh, unentwegt, in einem steten, ruhigen Rhythmus. Der Mann hinter dem Buch scheint sehr in sein kunstgeschichtliches Werk vertieft zu sein, denn genau so bewegen sich meine Zehen, wenn ich abends im Bett mit begieriger Konzentration in einer Klageschrift schmökere.
Die Beine sind glatt und schlank. Muskulös. Ich frage mich, wie sie sich anfühlen würden, wenn ich meine Hand darüber gleiten ließe, und wie es weitergehen würde, wenn sich meine Fingerspitzen unter das weiße Handtuch schöben, das gerade so um die Hüften gewickelt ist, dass man die Welt darunter erahnen möchte. Überhaupt sind es sehr schöne Beine. Rasiert offenbar, Betreiber regelmäßigen Sports; Schwimmer, Triiatleth?. Die Finger auf dem Buchrücken sind lang und kräftig, mit gepflegten Nägeln. Der Leser scheint sich allgemein in Form zu halten. Ich will gerade beginnen, mir ein Gesicht hinter den Seiten auszumalen, als der Mann sich regt, das Werk zur Seite legt und die Füße auf die Fliesen stellt, um sich aufzurichten.
Halleluja, die Offenbarung kommt über mich. Egal was ich mir gerade noch vorstellen wollte, diesen Adonis hätte ich sicher nicht vor Augen gehabt. Er erhebt sich, lockert die Schultern mit einem lässigen Schütteln und steuert die Saunen an.
Als er an mir vorbeischreitet, fange ich mit bebenden Nasenflügeln einen Hauch seines Rasierwassers auf. Ich fühle mich in die Karibik versetzt und Piraten tanzen vor meinem geistigen Auge. Ein Waschbrettbauch präsentiert sich und ist sogleich wieder verschwunden, abgelöst von einem Rücken, über den ich gern meine Fingernägel ziehen möchte.
Die Vision ist um die Ecke und ich liege hier, überspült von einem Schwall an Männlichkeit, der mich in Schütteln versetzt wie ein Paar begossener Möpse. Schluckend greife ich mir an die Brust. Worauf warte ich denn noch? Hinterher!
Ich erreiche den Gang zu den finnischen Saunen gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie er in Raum 3 einbiegt und das Handtuch sinken lässt. Der Ansatz seines straffen Hinterteils lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, dann schließt sich die Milchglastür.
Jetzt bin ich mir plötzlich wieder ganz sicher, dass es doch eine verdammt gute Idee war, herzukommen. Ich habe mir extra einen Wellnesstempel ein paar Städte weiter ausgesucht, hier kennt mich niemand, ich laufe keinem Chef über den Weg, keinen Bekannten, keinen Klienten. Ich kann mich besinnungslos ins Abenteuer stürzen und dieses Abenteuer wartet genau dort, hinter Tür Nummer 3.
Fest entschlossen raffe ich das Handtuch um den Körper und gehe auf besagte Sauna zu, will schon die Finger nach der Klinke ausstrecken, als hinter mir die schleppende Stimme des LKW-Fahrers ertönt: „Wenn ich darf, junge Frau.“ Eine massige Hand legt sich auf meine Hüfte und der Fettsack hält mir die Tür auf.
Zähneknirschend lasse ich mich von dem Paket, das als eklig zu bezeichnen ich zu höflich bin, in den Raum schieben. Mein Kunstliebhaber sitzt auf der obersten Stufe, ich werfe ihm nur einen flüchtigen Blick zu, dann landet mein Hintern auf dem Kiefernholz und ich bin zwischen der Wand und dem Bierkutscher eingekeilt, der sich breitbeinig und zeigefreudig neben mir niederlässt.
Innerhalb von Minuten kenne ich seine Lebensgeschichte. Seit achtzehn Jahren verheiratet, zwei Kinder, der Junge ein ordentlicher Sparkassenangestellter, das Mädel studiert noch, nicht, dass das zu irgendwas nütze wäre, aber man kann ja irgendwie heutzutage nicht mehr nein sagen zu den Töchtern. Und überhaupt, was ist nur aus der Jugend von heute geworden, ehrliche Arbeit ist nichts mehr wert und sowieso sind alle Politiker Verbrecher.
Wenn es mir vor ein paar Augenblicken noch so erschien, als könnte mein Ziel einer schmackhaften Zwischenmahlzeit in der außerörtlichen Sauna nicht völlig hoffnungslos sein, so fühle ich mich nun doch eher wie eine Fritte, die heute doch nicht mehr mit einem frischen Burger über die Theke geht. Stattdessen hat sich mir ein Leberkäsewanst auf den Bauch gebunden, und den würde ich eher samt des Pommesfetts auskippen als … –
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