Sklavin des Humanisten 11

17

Manche Männer bemühen sich lebenslang, das Wesen einer Frau zu verstehen. Andere befassen sich mit weniger schwierigen Dingen z. B. der Relativitätstheorie.
Albert Einstein (1879–1955)

(18. August)

 

Liana erschrak, als Rainer unvermittelt zu sprechen begann. Offenbar saß oder stand er ihr genau gegenüber.

»Du erinnerst dich, als ich dir befohlen habe, Hosen zu kaufen?«

»Ja Herr.« Sie erinnerte sich sehr genau. In manchen Dingen hatte er von Anfang an einfach anders getickt, als der Rest der Szene. Und je selbstsicherer er in seiner Dominanz wurde, desto stärker traten diese Dinge in den Vordergrund, die sie zunächst als Marotten betrachtet hatte, später aber als Ausdruck seiner Individualität und Unabhängigkeit erkannte.

Ella hatte ihr eins ihrer Kleider gebracht, und dann wollten sie zusammen einkaufen gehen. Mit einem Modekatalog hatten die beiden Frauen versucht, Rainers Geschmack möglichst genau herauszufinden, denn er hatte keine Lust, mitzugehen. Einige Kleider, Blusen und Röcke hatten sie diskutiert; den Schnitt, die Farben, den Stoff, und es schien klar zu sein, welchen Kleidungsstil Rainer an seiner Sklavin sehen wollte.

Dann hatte er auf eine tief geschnittene, sportliche Leinenhose gedeutet und gesagt: »Und etwas in der Art.«

Die beiden Frauen hatten ihn halb entsetzt, halb belustigt angeschaut und Liana sagte entgeistert: »Aber das ist eine Hose, Herr!«

Rainer hatte sie nur einen Moment lang stumm angestarrt, dann hatte er befohlen: »Geh und hol mir das Paddel.« Liana verstummte und eilte ins Lesezimmer, um das Gewünschte zu bringen. »Zieh dich aus und stell dich an die Wand.« Dann hatte er ihr schweigend und mit großer Härte zehn Schläge auf den Hintern versetzt. Anschließend musste sie sich umdrehen und erhielt noch einmal zwei etwas leichtere Schläge auf jede Brust. Es gelang ihr, bewegungslos stehen zu bleiben. Ella schaute verlegen zu Boden. Dann zischte Rainer leise: »Wenn ich dir befehle, ein bestimmtes Kleidungsstück zu kaufen und zu tragen, dann hast du das zu tun! Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Ja, Herr«, antwortete sie mit bebender Stimme.

Er tickte eben anders. Im Gegensatz zum Rest der Szene gefielen ihm manchmal auch Hosen an seiner Sklavin. Dass er damit eine Art ungeschriebenes Gesetz brach, war ihm völlig egal. Es bereitete ihm auch Freude, Liana die Hose halb herunterzuziehen und ihr dann je nach Anlass entweder den Hintern zu versohlen oder sie von hinten, über einen Tisch oder ein Geländer gebeugt, zu nehmen und ihr danach die Hose wieder hochzuziehen, während sein Saft aus ihr heraus troff. Er fand dies in mancher Hinsicht erregender, als für denselben Zweck ein Kleid hochzuheben.

Und noch mit etwas ganz anderem hatte er sie verblüfft: Zwar erwartete er, dass das Essen auf dem Tisch stand, wenn er nach Hause kam, aber nach dem Essen räumte er mit ihr zusammen den Tisch ab und stellte das Geschirr in die Spülmaschine.

Begonnen hatte er damit am Tag des ersten Besuchs von Heiner und Ella. Er hatte nicht viel mit ihr gesprochen, nachdem er Heiners Session abgebrochen hatte, aber er hatte sich wohl einiges überlegt. Er hatte sie, nachdem die Gäste sich verabschiedet hatten, ins Schlafzimmer geführt, sie dort festgekettet und war mehrere Stunden lang im Lesezimmer verschwunden. Spät in der Nacht war er zu ihr gekommen, hatte sie ohne viel Gefühl gefickt, ohne ihre Kette zu lösen, und sich gleich danach schlafen gelegt.

Ab dem nächsten Tag hatte sich ihr Verhältnis geändert. Sie war nun nicht mehr einfach sein Lustobjekt, sondern seine Sklavin. Er benutzte sie zwar eher rücksichtsloser, und er ließ sadistische Impulse zu, die er vorher unterdrückt hatte, aber er respektierte sie nun auch und betrachtete sie in mancher Hinsicht als Partnerin. Als er das erste Mal das Geschirr aufgeräumt hatte, war Liana erschrocken gewesen. Sie hatte gedacht, er sei mit ihr nicht zufrieden. Sie hatte gewagt, ihn darauf anzusprechen: »Wieso tun Sie das, Herr? Ist es nicht richtig, wie ich es mache?«

Daraufhin hatte er sich gesetzt, sie auf seinen Schoss geholt, sie gestreichelt und geküsst, und ihr erklärt: »Du bist meine Sklavin, Liana, aber nicht meine Haushälterin. Ich will dich zur Befriedigung meiner Lust und ich will deine Lust befriedigen, aber du bist nicht allein für die ganze Haushaltsarbeit verantwortlich. Wir wohnen zu zweit hier. Du hast mehr Zeit, also wirst du mehr davon erledigen. Aber nicht alles.

Und daran hatte er sich gehalten. Er war ordentlich, er räumte auf. Er half ihr beim Betten machen. Er half ihr, die Wäsche im Dachboden aufzuhängen. Am Wochenende kochte er sogar manchmal.

So etwas wäre Alain nie eingefallen. Haushalt war für ihn ganz klar Frauensache gewesen. Alain hatte auch nie den Unterschied zwischen Strafe als Konsequenz einer Verfehlung und Strafe als Befriedigung sadomasochistischer Triebe gemacht. Liana übrigens auch nicht. Kleine Frechheiten waren für sie ein Mittel gewesen, ihren Drang nach Schmerz zu erfüllen. Den Drang, den sie eigentlich selbst nicht verstand, der aber unzweifelhaft da war. Manchmal nur leicht, manchmal geradezu übermächtig. Rainer befriedigte diesen Drang mindestens ebenso vollständig, wie es Alain gekonnt hatte. Aber er tat es nicht aus denselben Gründen.

 


18

Wolle nur, was du sollst, so kannst du, was du willst.
Friedrich Rückert (1788–1866)

(23. März)

 

Rainer würde heute Abend nicht da sein. Er hatte sein jährliches Geschäftsessen. Er hatte Liana nicht gefragt, ob sie ihn begleiten wolle. Es würde spät werden, hatte er nur angekündigt. Schon am Mittag hatte Liana Einkäufe und Hausarbeit erledigt. Draußen schien die Sonne, es war warm wie im Sommer, und sie saß im Lesezimmer und versuchte, sich auf Spinoza zu konzentrieren.

Schließlich gab sie auf. Sie holte ihre Handtasche und nahm das Handy heraus. Kurz zögerte sie, bevor sie die caller identification abschaltete und dann Kris‘ Nummer hervorsuchte, die sie schon vor Tagen von der Serviette ins Handy–Adressbuch übertragen hatte.

»Hallo, hier ist Melanie. Weißt du noch?«

»Ja, natürlich«, antwortete er sofort erfreut. »Ich freue mich, dass du anrufst.« Kurzes Schweigen, während dem sie sich überlegte, wieso sie überhaupt angerufen hatte. War sie wahnsinnig? Was würde Rainer dazu meinen? Aber bevor sie die Verbindung unterbrechen konnte, fragte Kris: »Hast du Lust, heute Nachmittag eine Flussfahrt zu machen und anschließend vielleicht noch zu Abend zu essen?«

»Ja, gern«, antwortete sie, bevor sie sich überlegen konnte, was die richtige Antwort wäre. Und ehe sie es sich versah, war sie verabredet. Lange stand sie vor dem Kleiderschrank, bis sie sich für ein kurzes seidenes Sommerkleid mit leuchtendem Blumenmuster entschied.

Kris wartete schon am Kai und winkte fröhlich, als er sie sah. In der Hand hielt er einen kleinen Strauß Wiesenblumen. »Ich komme direkt von der Arbeit, hab mir frei genommen. Aber weil ich nicht mit leeren Händen dastehen wollte, hab ich die für dich gepflückt«, strahlte er sie an. »Die passen ja toll zu deinem Kleid!« Als sie lächelnd die Hand ausstreckte, um den Strauß zu nehmen, fuhr er fort: »Warte, damit du die Blumen nicht den ganzen Nachmittag mitschleppen musst, dachte ich, wir opfern sie dem Flussgott und bitten ihn um seinen Segen für diese Fahrt. Einverstanden?«

»Ja.«

Mit theatralischer Geste warf er den Strauß ins Wasser und murmelte irgendwelche unverständlichen Beschwörungsformeln. Dann legte er die Hand leicht auf Melanies Schulter und ging mit ihr die Gangway hinauf.

Bevor ihr seine Berührung unangenehm werden konnte, nahm er die Hand wieder weg. Oben fanden sie einen Zweiertisch gleich an der Reling, und nach dem Ablegen bestellten sie Prosecco und genossen die ruhige Fahrt auf dem glitzernden Wasser des Flusses, zwischen Wäldern, Feldern und malerischen Dörfern. Auch diesmal stellte sich zwischen ihnen sofort dieselbe Vertrautheit ein, wie beim ersten Treffen, und sie plauderten ungezwungen über alles, außer Fußball und Melanies Privatleben.

Als das Schiff nach etwa einer Stunde am Scheitel der Fahrt wendete, und fast lautlos am anderen Flussufer abwärts in Richtung des Ausgangspunktes trieb, schlenderten Kris und Melanie übers Deck und blieben schließlich am Heck stehen. Melanie beugte sich über die Reling, um den Fischen zuzusehen, die im Kielwasser umherschwammen, und Kris entging es dabei nicht, dass sie keinen BH trug. Er hatte Angst, es sich mit zu forschem Vorgehen zu verderben, aber andererseits sagte er sich, war es ja sehr gut möglich, dass sie darauf wartete, dass er endlich einen weiteren Schritt machte. Wollte sie ihm mit dem Verzicht auf den BH vielleicht sogar eine Art Signal geben? So sagte er schließlich: »Vorsicht, fall‘ nicht hinein«, und umfasste ihre Taille. Als Melanie sich daraufhin abrupt aufrichtete und ihn ansah, gab er ihr einen sanften, schnellen Kuss auf die Lippen. Melanie löste sich sofort, sagte »Nein« und drehte sich weg. Kris bat um Entschuldigung, und keiner der beiden sprach mehr davon. Aber keiner von beiden hatte die Frau gesehen, welche sie die ganze Zeit beobachtet und mehrmals fotografiert hatte.

Und nur Liana wusste, wie sehr Melanies Herz bei dem Kuss gepocht hatte. Während der restlichen Fahrt sprach sie fast nichts mehr. Verdammt, was passierte hier? Sie wusste es im Grunde: Sie liebte Rainer eben nicht. Etwas fehlte. Es war wie Pesto ohne Knoblauch. Wie Bouillabaisse ohne Fisch. Aber sie respektierte ihn. Und sie gehörte ihm. Da gab es keinen Zweifel. Konnte es keinen Zweifel geben. Durfte es keinen Zweifel geben. Wie kam sie dazu, mit Kris eine Bootsfahrt zu machen? Sie würde mit Rainer darüber sprechen, gleich morgen. Wenn er sie dafür bestrafen würde, sollte es ihr Recht sein. Doch beim Gedanken an die Strafe konnte sie ein Zittern nicht unterdrücken. Rainers Strafen waren sehr viel unangenehmer, als die von Alain.

»Ist dir kalt?«, fragte Kris besorgt, doch sie schüttelte nur den Kopf und nach der Ankunft verabschiedete sie sich sehr kurz und eilte davon, während er ihr verständnislos nachblickte.

 


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2 Gedanken zu „Sklavin des Humanisten 11“

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