Kürzlich hatte ich einen interessanten Disput. In einem anderen Universum würde ich schreiben: Zwei Alphas trafen aufeinander und keiner wollte nachgeben. Doch da ich damit den Inhalt dieses Beitrages völlig untergraben würde, schreibe ich das lieber nicht.
In diesem Disput ging es nämlich um die Existenz sogenannter Alpha Males. Meine Theorie war, diese Alphas – vor allem solche, die sich dafür halten – sind vor allem unangenehm und laut. Das nicht Vorhandensein von Kompetenz wird von diesen Alpha Males durch einen besonders imposanten Auftritt überkompensiert.
„Alpha Male“ ist ein völlig unnützes Konzept und total ungeeignet, um irgendein menschliches Verhalten sinnvoll zu beschreiben. Mein Gegenüber war anderer Meinung: Alphas seien geborene Führer. Er meinte, die Typen Alpha und Omega seien im Tierreich gut belegt und auch auf den Menschen übertragbar. Obwohl der Typ ein pensionierter Biologielehrer war, hatte er keine sonderlich guten Argumente. Diese trug er allerdings mit großen Nachdruck und sehr laut vor. Meinen (natürlich nicht ernst gemeinten) Vorschlag unsere Diskussion auf dem Parkplatz vor dem Restaurant, in dem wir uns befanden, zu klären, lehnte er ab. Wir verblieben dann so, dass er mir die Belege für seine Theorie zuschicken soll (hat er bis heute nicht getan). In der Zwischenzeit habe ich selbst nachgelesen und das Ergebnis meiner Recherchen möchte ich Euch nicht vorenthalten:
Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass der Begriff Alpha Male recht neu ist. Auf Google Ngram, wo man nach der Häufigkeit von Suchbegriffen in Büchern suchen kann, erhält man bei der Suche nach „Alpha Male“ folgendes Diagramm.
Darauf erkennt man einen Anstieg in den 70ern und nochmal in den 80ern. Seitdem erfreut sich der Begriff stetig wachsender Beliebtheit. Hier sind bestimmte Ereignisse besonders hervorzuheben:
1970 veröffentlichte der Naturforscher L. David Mech das Buch „The Wolf“. Darin beschreibt er seine Beobachtungen eines Wolfsrudels. Er konstatiert die Existenz eines Alpha Wolfes und einer Alpha Wölfin. Sie führen das Rudel an, sie haben Vorrang bei der Nahrungsaufnahme, sie paaren sich und so weiter. Dieses Buch war ein absoluter Kassenschlager, wodurch der Begriff Alpha weite Verbreitung bis in die Popkultur hinein fand. Doch 1999 widerrief Mech seine Theorie vom Alpha Wolf und widerrief in einer Serie von Veröffentlichungen seinen Irrtum . Seine früheren Beobachtungen hatten nämlich in einem Naturreservat stattgefunden. Und dort lebten überhaupt keine „normalen“ Wölfe in normalen Rudeln. Dort lebten vor allem Wölfe, die man irgendwo eingefangen und ins Reservat verpflanzt hatte. Inzwischen hatte er aber Wölfe in freier Wildbahn beobachtet und eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Natürlich gibt es in jedem natürlichen Rudel einen männlichen und einen weiblichen Boss. Nur sind das nicht Alphas, sondern ganz einfach Mom und Dad. Wölfe leben natürlicher weise in einem Familienverband und natürlich stehen die Eltern im an der Spitze des Rudels. Sein Widerruf fand allerdings kaum Beachtung. Bis auf einige Fachmagazine, die seine neuen Erkenntnisse publizierten, ignorierte die Mainstream den Biologen Mesh . Im Gegensatz dazu kann man das Buch von 1970 noch heute kaufen.
In den 80ern gibt die Primatologin Jane Goodall der Alpha-Male Theorie einen neuen Schub.. Sie beobachtete allerdings Schimpansen und fasst aggressive teils dominante Tendenzen von Männchen unter dem Begriff Alpha zusammen.
Nun ist es aber völliger Unsinn, einzelne Verhaltensweisen einzelner Spezies als Vorbild für den Menschen heranzuziehen. Beim Menschen soll es Alphas geben, weil es sie bei Wölfen und Schimpansen gibt? Was ein Schwachsinn. Es verlangt ja auch niemand, dass wir anfangen Scheiße zu fressen, weil Wölfe das auch tun! Und warum sollen wir uns denn eigentlich am Schimpansen orientieren? Bonobos sind uns Menschen näher verwandt als die Wölfe oder Chimps und bei denen gibt es ein krasses und geradezu sexistisches Matriarchat:
Bonoboweibchen, die von Weibchen und Männchen zu sexuellen Aktivitäten aufgefordert werden), ziehen weibliche Partner vor. Sie liegen kreischend übereinander oder nebeneinander, drücken und reiben ihre Vulven aufeinander. Die Klitoris – mit vielen Sinneszellen versehen – ist bei Bonobos größer als beim Menschen, was erklärt, warum weibliche Bonobos so eifrig genitale Kontakte zu anderen Weibchen pflegen. […] Das weibliche Vergnügen ist zentral für die Bonobo-Gesellschaft. Weibchen initiieren fast immer den Geschlechtsverkehr, und die Männer sind meist dafür empfänglich. Doch manchmal versucht ein Männchen die Annäherungsversuche abzuwehren. Meist ohne Erfolg. Ein Weibchen kann ein solches Männchen immer wieder „anwerben“, seine Arme immer wieder umarmend, während er versucht, wegzurutschen und sich weigert. Schließlich haben sie Sex. […] Weibliche Bonobos sind auch dafür bekannt, die Männchen anzugreifen. Sie schlagen, beißen und kratzen. Im Frankfurter Zoo gibt es einen männlichen Bonobo, dem zwei Finger fehlen und einen weiteren, dessen Penis beinahe durchtrennt wurde. Mehr als 95 Prozent der schweren Verletzungen bei Männchen werden von Weibchen verursacht. Bonobos sind, so Parish, eine von Frauen dominierte Spezies.
Ich habe bisher noch nirgends davon gelesen, dass wir menschliche Gesellschaften nach dem Vorbild der Bonobos formen sollten. UNd schon gar nicht, verlangt jemand Frauen die Männer jederzeit zu Sex zwingen können sollten, wenn sie denn nicht gerade ihrer Lieblingsbeschäftigung frönen und sich sapphischen Gelüsten hingeben.
Natürlich gibt es im Tierreich Gattungen mit klaren Hirarchien, in denen Alpha Males existieren, zB. beim Gorilla, doch menschliches Verhalten ist viel komplexer. Es kann nicht sinnvoll durch einfache Hierarchien und Archetypen wie man sie im Tierreich findet, beschrieben werden. Der Mensch als Individuum bewegt sich in vielen verschiedenen sozialen Zirkeln und jeder dieser Zirkel hat eigene Regeln und Hierarchien. Es gibt sie einfach nicht, diese angeblichen geborenen Führer, die unabhängig vom sozialen Zusammenhang an die Spitze gehören.
Das Fachmagazin Psychology Today listet die folgenden Eigenschaften für einen guten Anführer:
Those characteristics include being sociable, ambitious, curious, and well-adjusted—and those traits may bear more weight even than intelligence. Successful leaders also tend to embody integrity and emotional intelligence, characteristics that support cultivation of a fair, balanced, and enjoyable professional team.
Zu diesen Merkmalen gehören Geselligkeit, Ehrgeiz, Neugierde und ein gutes Gespür – und diese Eigenschaften können sogar mehr Gewicht haben als Intelligenz. Erfolgreiche Führungskräfte neigen auch dazu, Integrität und emotionale Intelligenz zu verkörpern, Eigenschaften, die die Kultivierung eines fairen, ausgewogenen und angenehmen professionellen Teams unterstützen.
Mit anderen Worten: In einer Führungspersönlichkeit suchen wir nach richtig guten Kommunikationsskills, emotionaler Intelligenz und Sozialkompetenz. Klingt sehr vernünftig, wie ich finde und völlig anders als die Beschreibung eines typischen Alphas.