Neunzehn
Die Biologin war noch am Leben. Das Volk war zum Schluss gekommen, dass es ineffizient wäre, sie zu eliminieren. Ihr Nervensystem hatte den Schock des Kontakts mit den Monstern (den Menschen, korrigierte das Kollektiv das Symbol sofort mit demjenigen, welches aus dem Bewusstsein von Gianna stammte) bereits durchlitten, und es machte keinen Sinn, ein weiteres Glied des Volkes zu opfern. Da sich die Biologin nach einer Phase der Bewegungslosigkeit wieder bewegen konnte, und sich auch nicht direkt auffällig verhielt, war es logisch, dass sie weiterhin die Kontaktfunktion wahrnahm.
Auf dem Weg zur Kammer der Menschen hatte sie zweimal die Wellen des Konjunktionshöhepunktes (Orgasmus schien das korrekte Symbol dafür zu sein) wahrgenommen. Doch als sie ankam, waren die beiden bewegungslos. Hel war untergegangen, und man konnte nur noch infrarot sehen. Dazu waren die Menschen nicht oder nur rudimentär in der Lage, wie das Volk inzwischen wusste. Die Biologin schob sich, als die Wächterin ihr Platz gemacht hatte, mit dem Vorderleib in die Kammer und betrachtete die beiden ruhenden Menschen. Sie waren in der inaktiven Phase, einem Phänomen, das das Volk nur in der kalten Jahreszeit kannte. Menschen schienen dagegen fast jeden Tag eine Ruhephase einzulegen. Sanft berührte die Biologin mit ihren weichen Antennen das Lochwesen (die Frau, korrigierte der Kollektivintellekt sofort), und zuckte zusammen. Der Mensch hatte auch in der Ruhephase eine hohe Gedankenaktivität! Noch fremdartigere Bilder und Eindrücke rasten durch das Gehirn der Biologin und des Kollektivs, doch der Schock war geringer als beim ersten Mal. Einige der Bilder und Symbole drehten sich jetzt um Konjunktionsvorgänge (›Sex‹, erfolgte sofort die Korrektur), aber die meisten handelten von dem seltsamen fliegenden Bau und von der Kommunikation der Menschen untereinander. Ganz unscharf tauchte auch ein Bild einer Welt voller Menschen auf, welches das Volk zutiefst erschütterte. Schockiert und dennoch fasziniert hielt das Volk durch die Biologin den Kontakt. Es war wichtig, soviel wie möglich über die Menschen zu erfahren!
Noch bevor Hel aufging, drängten die Sex-Gedanken alle anderen Bilder zurück. Auch das Stabwesen begann Schwingungen auszusenden, die man empfinden konnte, ohne physischen Kontakt zu haben. Und wirklich: Der Stab richtete sich auf, obwohl beide Wesen noch schliefen. Er musste eine autonome Steuerung haben. Dem Volk war nicht klar, was die biologische Funktion dieses ›Sex‹ war, der einen so großen Raum im Denken, Fühlen und Handeln dieser fremdartigen Wesen einzunehmen schien, aber es war begierig auf den Orgasmus. Man würde so viel Wärme wie möglich tanken, bevor das Himmelswasser alles bedecken und die Welt erstarren würde. Das Abdichten des Baus war beinah fertig, und das Volk hatte mehr Vorräte als je zuvor eingebracht. Es war glücklich, soweit dieses Symbol (ein weiteres fremdartiges Symbol aus der Erlebenswelt der Menschen) auf das Volk überhaupt anwendbar war. Die Biologin zog sich zum Eingang der Kammer zurück.
weiter geht es hier mit Chitin – Teil 20
NEWSLETTER
Verpasse keine News mehr, keine Fun Sex Facts, keine Neuerscheinungen. Erfahre von neuen Buchprojekten vor allen anderen.
Einfach den Newsletter abonnieren und du bist immer auf dem neuesten Stand.
2 Gedanken zu „Chitin 19“