Fetischlexikon schreiben

Im Februar 2019 kam eine Mail von Gregor. „Hast du Lust für uns ein Fetischlexikon zu schreiben?“, wollte er wissen. Nachdem wir uns dann recht schnell über die Konditionen einig wurden, kann ich heute berichten: Letzte Woche, also fast ein Jahr später, habe ich den (vorläufig) letzten Eintrag von insgesamt 273 abgeliefert, und zwar über den Humbler. Das ist übrigens ein äußerst fieses Folterinstrument, mit dem Dominas die Hoden ihrer Sklaven traktieren. Ich zeig euch mal das Bild, mit dem dieses Instrument auf Wikipedia illustriert wird.

Geht’s euch wie mir? Das sind doch wirklich Sachen, die man eigentlich gar nicht so genau wissen will. UNd schon gar nich will man das sehen. So als normaler anständiger Mann – mit normalen und anständigen Bedürfnissen. Da fragt man sich doch: Wieso machen Leute das? Wieso mögen die das? Ist das nicht krank? Oder? Das ist total krank! Und diese Frauen, die das diesen armen Kerlen antun, haben die etwa den Verstand verloren?

 

Merkt ihr’s? Diese Heuchelei und Intoleranz, die man unbewusst zufällig jenen Fetischen und Neigungen gegenüber an den Tag legt, die man zufälligerweise selbst nicht teilt. Beim Schreiben musste ich leider feststellen, dass ich mich davon nicht ganz freisprechen kann, obwohl ich mich für einen superdupertoleranten Typen halte. Das Schreiben von 273 Einträge für das Fetischlexikon von Fetisch.de war also in gewisser Weise eine Lektion in Demut und genau darum soll es in diesem Beitrag hier gehen.

Zunächst musste ich feststellen, das lexikalische Schreiben ist eine Umstellung. Man muss so schreiben, dass man jede potenzielle Leserin, jeden potenziellen Leser und auch jene, die sich nicht durch binär gegenderte Substantive angesprochen fühlen, mitnimmt. Für so einen alten Knochen, der gerade erst im Begriff war, sich an das Binnen-I zu gewöhnen, ist das schon eine Umstellung. Allerdings gehören Trans- bzw. alle nichtbinären Personen bei Fetisch.de zur Leserschaft, weshalb die inklusive Schreibweise dort wirklich Sinn macht (Sie macht auch sonst Sinn, aber dazu ein anderes Mal mehr).

Knapp 300 Einträge für Fetische, Kinks, Neigungen, Begriffe, Objekte, hauptsächlich aus den Bereichen BDSM umfasst das Lexikon auf Fetisch.de zur Zeit. Insgesamt habe ich davon 273 verfasst und dafür 124.810 Worte geschrieben. Dabei habe ich mich Themen wie dem Fetisch fürs Küssen, den Niesfetisch, Blähungen, Natursekt, Sex auf der Waschmaschine, Cunnilingus , sowie vielen, vielen anderen „Perversionen“ gewidmet. Manches regte zum Schmunzeln an, wie z. B. die Dendrophilie (die Liebe zu Bäumen), der Luftballon-Fetisch oder das Yffing (die Liebe zu pelzigen Fantasiewesen). Jaja, ich gebe zu, ich neige ebenfalls dazu, über derart aus meiner Sicht abstruse Vorlieben eine gewisse Belustigung zu empfinden. Dabei bringt man mit dieser Belustigung nur eines zum Ausdruck, nämlich, dass man eigene Fetische als irgendwie höherwertig ansieht. Und das ist völliger Quatsch, oder nicht?

Schlimmer finde ich allerdings, die latente Ablehnung, die man Sachen entgegenbringt, nur weil sie irgendwelchen gesellschaftlichen Normen widersprechen. Dürfen Männer submissiv sein, sich Frauen unterwerfen und sich sogar aufs Äußerste quälen lassen? Ist nicht meine Baustelle, aber natürlich dürfen sie – warum auch nicht. Dass ich zufällig ein dominanter Kerl bin, der zufällig auf unterwürfige Frauen steht, heißt ja nicht, dass ich das für Maledom/Femsub für eine anzustrebende Gesellschaftsform halte. Und es heißt schon gar nicht, dass ich anderen meinen eigenen Fetisch als Ideal aufdrücken wollte. Ich stehe halt nicht drauf und damit können die, die es mögen, sicher klar kommen.

Dann gibt es noch diese unappetitlichen Fetische, meist haben sie mit Körperflüssigkeiten zu tun. Es gibt durchaus die eine oder andere Praktik, die bei mir Ekel auslöst. Aber was heißt das schon, auch Ekel ist ein überwiegend soziales Konstrukt. Und wirklich stabil ist dieses Konstrukt auch nicht gerade. Zu meinen Lebzeiten gab es hier in meiner Stadt noch eine Pferdemetzgerei und einige Ausflugslokale die sich exklusiv auf Gerichte mit deren Produkten spezialisiert hatten. Das ist gerade mal 20 Jahre her und doch ist es heute undenkbar.

Lassen wir diese emotionalen Reaktionen wie den Ekel mal beiseite und nähern uns der Sache rational: Mach doch mal eine Liste von den eigenen sexuellen Fetischen. Praktiken, die du schon mal ausgeübt habt oder an euch habt ausüben lassen. Meine Liste wäre:

  • Schläge auf den Arsch oder sogar zwischen die Beine, bis Tränen kommen,
  • Blowjob bis zum Würgen,
  • Erniedrigung verbaler und sexueller Natur oder
  • Anilingus passiv/aktiv.

Und nun stell dir vor, du versuchst einer sexuell konservativen Person zu erklären, warum du diese Praktiken magst.
Merkste selber, oder?
Geht nicht.
Es gibt keine wirkliche Erklärung dafür, warum du darauf stehst, dir das Arschloch auslecken zu lassen (oder eines auszulecken). Es ist sauschwer bis unmöglich einer Person zu erklären, warum du dir den Arsch versohlen lässt bis Tränen kommen (oder es bei anderen tust).
Du kannst es nicht erklären.
Ich kann es auch nicht.
Niemand kann es.
Ebenso wenig, kann ich erklären , warum ich Vanilleeis tausendmal lieber mag als Pistazieneis. (Ehrlich gesagt, sind mir Leute die Pistazieneis mögen sogar irgendwie suspekt. Das Zeug ist doch wirklich eklig.)

Es gibt kein Ranking von Fetischen, in keiner Kategorie und schon gar nicht moralisch. Kein Fetisch ist besser oder schlechter als der andere. Die Kategorie „normal“ macht deshalb überhaupt kein Sinn. Allerhöchstens kann man statistisch herangehen. Das liefe dann allein auf die Frage hinaus, wie häufig ein Fetisch in der Bevölkerung vertreten ist. Dann wäre es allerdings besser, statt „normal“ das Attribut häufig zu benutzen. Und dann sagt das Attribut „normal“ auch nichts mehr aus.

Die Lektion, die ich persönlich aus der Schreiberei gezogen habe: Es wirklich kommt nur auf eine einzige Sache an: Den Konsens aller Teilnehmer!

 

 

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