Chitin 14

Vierzehn

Und wieder bekamen die Gestrandeten nichts mehr zu essen und zu trinken. Wieso taten die Ameisen das? Wieso gaben sie ihnen Hoffnung und ließen sie dann tagelang dursten? Gianna versuchte krampfhaft, sich zu erinnern: Dieser verrückte Planet beschrieb irgendeine verrückte Bahn um seine zwei verrückten Sonnen. Das machte die Tage … nein, das machte den Jahresablauf sehr seltsam. Die Tage, also die Perioden, an denen die helle Sonne über dem Horizont stand, waren zurzeit etwa acht Stunden lang. Etwa drei Stunden davon standen beide Sonnen am Himmel, aber man konnte den roten Riesen nicht sehen, weil er vom weißen Zwerg überstrahlt wurde. Sechs Stunden lang beherrschte der rote Riese den Himmel, und hätte bestimmt einen fantastisch spektakulären Anblick abgegeben. Allerdings stiegen immer, sobald die weiße Sonne verschwand, diese seltsamen Vögel auf und bildeten eine undurchdringliche Decke am Himmel. Dadurch waren die Nächte wirklich pechschwarz. Nie hatten zwei Ameisen einander im Sternenlicht ewige Liebe geschworen, und auch die Menschen würden es auf dieser Welt nie tun können. Man sah hier niemals die Sterne.

Die Menschen.

Gianna erwachte aus ihrem Tagtraum. Ja, die Tage waren kurz, eine Umdrehung des Planeten dauerte nur rund fünfzehn Stunden. Aber der weiße Zwerg strahlte grell und heiß, und die Luft war extrem trocken. Die einzigen überlebenden Menschen auf dieser Welt litten Durst! Und die Ameisen wirkten nicht so, als wären sie zu irgendwelchen romantischen Gefühlen fähig. Es waren keine Ameisen, das hatte Leena ihnen vor der Landung erläutert. Ameisen könnten nicht so groß werden. Sie würden entweder unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen, oder ersticken, weil die Tracheen, durch die sie atmeten, nicht in der Lage wären, ausreichend Sauerstoff für einen wesentlich größeren Körper aufzunehmen. Sie mussten also einen grundsätzlich anderen inneren Aufbau haben, als irdische Ameisen. Aber ihr Verhalten war verblüffend ähnlich.

Roger hatte Leena nur zwei Tage Zeit gegeben, die Landung vorzubereiten. Leena hatte getan, was sie konnte und hatte ihre Erkenntnisse nach zwei Tagen vorgestellt. Aber sie hatte darauf bestanden, mehr Zeit zu benötigen, um eine sichere Landung zu ermöglichen. Ihre Renitenz hatte ihr schwere Schläge von Roger und Rob eingetragen, aber sie war hart geblieben. Schließlich hatte Roger beschlossen, dass sie nicht bei der Landungstruppe dabei sein dürfe.

»Roger, wir waren so viele Jahre unterwegs. Es kommt auf ein paar Tage nicht an. Diese Welt ist bewohnt! Das ändert den ursprünglichen Plan. Wir müssen die Bewohner studieren!«, hatte sie es noch einmal versucht. Aber Rogers Entscheidung war gefallen, und die meisten anderen trugen sie mit.

Zu lange waren sie nun auf engem Raum zusammen gewesen. Roger hatte die Mannschaft ja früher als im ursprünglichen Konzept vorgesehen geweckt, um die Frauen zu Kajiras zu dressieren. Aber man konnte nicht ganze Tage mit Dressurübungen verbringen, und auch der geilste Mann konnte und wollte nicht jeden Tag fickend durchbringen. So hatte sich doch Langeweile breitgemacht. Natürlich hatte man genug Filme und Literatur für mehr als tausend Menschenleben an Bord, und natürlich gab es jeden Tag eine Sexparty, für die Roger manchmal sogar den Antrieb abschalten ließ, um Spiele in der Schwerelosigkeit zu ermöglichen. Aber den Leuten fehlte die Bewegung, die frische Luft, die Freiheit. Dazu kam, dass die Schiffsluft allmählich schlechter wurde. Zwar war das Schiff ein fast völlig autarkes Ökosystem, aber eben nur fast. Ein Teil des Sauerstoffs diffundierte durch die Schiffswand, und ein Teil des verstoffwechselten Sauerstoffs konnte nicht regeneriert werden. Auch hier rächte sich Rogers eigenmächtige Änderung des Plans: Zwanzig Menschen hatten einige Wochen lang wesentlich mehr Luft verbraucht, als die Berechnungen es vorgesehen hatten.

Das wichtigste Argument für eine Landung aber war: Der Planet hatte eine sehr ungewöhnliche Umlaufbahn, und alle Projektionen zeigten, dass ihm ein mehr als strenger Winter bevorstand. Wenn sie diesen Winter nicht im Raumschiff verbringen wollten, mussten sie so schnell wie möglich beheizte Wohnmöglichkeiten errichten.

Die Halbinsel am Fluss erschien den Männern ideal für den ersten Stützpunkt der Menschheit auf New Hope: Leicht zu besetzen, leicht gegen Angriffe vom Land her zu verteidigen. Im Wasser schien es keine gefährlichen Lebewesen zu geben: Der Fluss war breit, aber relativ flach, und offenbar nur von kleinen, krabbenartigen und fischartigen Lebewesen bevölkert. Das einzige Problem war dieser eine Ameisenbau gewesen, der mitten auf der Halbinsel thronte. Rogers Plan war einfach: Man würde dicht vor dem Bau landen, die Kampftruppe würde ihn mit Handstrahlern niederbrennen, und die Bautruppe würde gleichzeitig aus Fertigbauteilen eine Barrikade errichten. In weniger als zwei Stunden wäre die Halbinsel eingenommen und gesichert. Dann hätte man sich daran machen zu können, Gebäude für den harten Winter zu bauen.

Das war der Plan.

»Du willst die Bewohner dieser Welt bekriegen, Herr?«, hatte Ricarda einzuwerfen gewagt. Er warf ihr einen finsteren Blick zu und grollte: »Es sind Ameisen, Ricarda, keine Menschen.«

»Sie scheinen die beherrschende Lebensform dieses Planeten zu sein.«

»Ja und? Insekten sind auch die beherrschende Lebensform auf der Erde, wenn man es genau nimmt. Hat uns das je daran gehindert, einen Ameisenbau auszuräuchern?«

Leena versuchte es noch einmal: »Es sind keine Ameisen, Herr. Sie sehen nur so ähnlich aus. Sie sind aber sehr viel größer und stärker. Und sie scheinen nach meinen bisherigen Beobachtungen ein ausgeprägtes Revierverhalten zu haben.«

»Was willst du damit sagen?«

»Wenn wir dicht vor dem Bau landen, werden wir möglicherweise eine sehr heftige Reaktion auslösen. Manche irdische Ameisenarten würden sich in so einem Fall ohne Rücksicht auf Verluste auf jeden Angreifer stürzen.«

»Also sind es doch Ameisen?«

»Sie verhalten sich in gewisser Hinsicht ähnlich, Herr. Ich rate nur zu Vorsicht. Könnten wir nicht vielleicht etwas weiter weg von den Einheimischen siedeln?«

Offenbar hatte Leena aus den Prügeln doch gelernt. Sie formulierte ihre Ansicht jetzt deutlich höflicher und vorsichtiger, als am Vorabend. Doch sie konnte Roger nicht umstimmen: »Es gibt auf diesen verfluchten Staubball dreiundzwanzig größere Ströme, die alle zu dem einen mickrigen Ozean fließen, und je aus einigen Hundert Zuflüssen gespeist werden. Vegetation gibt es nur in der Umgebung der Gewässer, und sämtliche Vegetationsgürtel, soweit wir es bisher gesehen haben, sind voll mit diesen verdammten Käfern. Wir brauchen für unsere Siedlung mittelfristig Zugang zum Wasser. Also werden wir unsere Ansprüche sofort bei der Ankunft durchsetzen und einen Brückenkopf erobern, den wir notfalls auch gegen Angriffe verteidigen können.«

Im Grunde war seine Argumentation durchaus logisch. Er vertraute auf die Titanhülle der Fähre und auf die Handstrahler. Er war letzten Endes eben doch Soldat, ebenso wie Rob und Mauro. Und für Soldaten war der Weg der Gewalt immer der Naheliegendste, zumindest wenn man sich im Besitz der überlegenen Waffen wähnte.

›Verdammt, der Durst macht mich wahnsinnig‹, dachte Gianna, ›ich sollte nicht an die Vergangenheit, sondern an die Zukunft denken! Wie bekommen wir zu trinken?‹ Nardo schien fast noch mehr zu leiden, als sie. Er rührte sich kaum noch.

Doch da kam plötzlich Bewegung in die Palisade: Eine Ameise kam mit zwei Wasserbehältern! Gianna stürzte sich förmlich auf das Wesen und riss ihm die Schalen aus den Klauen. Dann eilte sie zu Nardo, um ihm eines zu geben. Dieser entriss ihr jedoch beide und stürzte sie hastig hinunter. »Ich bin größer und schwerer als du. Ich brauche mehr Wasser«, erläuterte er danach etwas kleinlaut und reichte ihr die leeren Schalen. Gianna sagte nichts und versuchte, die letzten Tropfen auszulecken. Doch bereits nach kurzer Zeit brachte eine Ameise zwei weitere Behälter. Diesmal durfte Gianna einen davon trinken, sodass ihr ärgster Durst gelöscht war.

Das Wasser hatte Nardos Lebensgeister geweckt. Er erhob sich und begann mit seinem Fluchritual gegen die Ameisen, die Welt und den Gott, der ihn hierher geführt haben mochte. Er machte drohende Gesten gegen die Wächter, und als diese nicht reagierten, begann er sie lauthals brüllend mit Fäusten und Füssen zu traktieren. »Bitte hör auf, Herr«, bat Gianna.

»Du magst diese Viecher wohl, wie? Schau mal, was ich mit deinen Freunden mache!«, höhnte Nardo und richtete seinen Penis auf den Kopf einer der Wächterameisen. Sobald der erste Urinstrahl austrat, erfolgte eine unerwartet heftige Reaktion der bisher völlig bewegungslosen Formiciden, die vor dem pinkelnden Nardo kauerten: Wie vom Blitz getroffen, sprangen sie zuerst einen Schritt zurück, richteten sich dann aber hoch auf und hoben ihre weit aufgerissenen riesigen Klauen. Es war nicht zu übersehen, dass sie nahe daran waren, Nardo zu zerfetzen. Doch sie brachen ihren Angriff ab, sobald der Mann einige Schritte zurückgestolpert war und sich nun selbst bepinkelte. Gianna eilte zu ihm und zog ihn in die Mitte des Kreises. »Sie mögen es nicht, angepisst zu werden«, kalauerte er ungewollt, ließ sich aber ohne Widerstand wegziehen. Dann erinnerte er sich seiner Position: »Leck mich sauber«, befahl er. Der widerspruchslose Gehorsam der Sklavin schien seinem geknickten Stolz zu helfen, denn seine Männlichkeit reagierte auf die Säuberungsbemühungen der Kajira umgehend. Diese hätte in dieser Situation als Allerletztes an Sex gedacht, und ließ den Penis aus ihrem Mund gleiten, um stattdessen seinen Hodensack und dann die Beine sauber zu lecken. Er ließ es zunächst dabei bewenden, und Gianna setzte sich einige Schritte von ihm weg auf den Boden. So blieben sie, bis die Dunkelheit der Nacht hereinbrach. Als man nichts mehr sehen konnte, rief Nardo: »Gianna, komm her, ich will dich ficken.«

»Bitte, Herr. Ich kann jetzt nicht …«, bat die Angesprochene flehend.

»Kajira, ich habe dir einen Befehl gegeben!«

Kurz darauf hatte er sie bereits gefunden, umschlang ihren Leib und drehte sie auf den Bauch. »Willst du mir den Gehorsam verweigern?«, fragte er drohend.

»Nein, Herr«, antwortete sie gepresst, den Mund in den Staub gedrückt. Sie begriff durchaus, dass es ihrem Herrn hier nicht um Liebe, nicht einmal um Befriedigung ging, sondern nur um Dominanz. Er musste seinen gekränkten männlichen Stolz behandeln, indem er sie fickte. Dafür sprach auch die Stellung, die er wählte. Er zog sie hoch, sodass sie in Hündchenstellung war, und drang roh von hinten ein. Anfangs schmerzte es nur, doch Giannas Jugend und Lebensdrang bewirkten, dass sie trotzdem in Fahrt kam, ihr Umfeld vergaß und den Sex genoss, wie sie ihn fast immer genoss. Sie liebte Sex. Natürlich kam Nardo wieder lange, bevor sie so weit war, und natürlich zog er sich unmittelbar nach seinem Orgasmus zurück und wollte in Ruhe gelassen werden.

Da hörte sie ein leises Rascheln. Angestrengt starrte sie in die Dunkelheit. Sie fühlte mehr, als sie es hörte, wie etwas sich näherte. Angstvoll wich sie zurück, bis sie an Nardo stieß, der sie unwirsch zurechtwies: »Lass mich schlafen!«

»Hör doch, Herr! Etwas kommt näher!« Gianna war der Panik nahe. Wenn es nur nicht so finster gewesen wäre!

Da: Ein lautes Schnappgeräusch, etwas fiel zu Boden, und dann wieder ein leises Scharren, das sich diesmal von ihnen entfernte. Und dann breitete sich jener süßliche Geruch aus, der sie an ihr letztes Essen erinnerte. Vorsichtig tasteten beide um sich, und tatsächlich: Sie stießen auf halbierte Früchte derselben Art, die sie schon einmal bekommen hatten! Gierig begannen beide, zu essen. Es war für jeden eine Frucht da, mehr als genug, um satt zu werden. Als sie fertig waren, entdeckten sie, dass unterdessen auch zwei Schalen mit Wasser gebracht worden waren. Gianna trank, soviel sie konnte, denn sie fürchtete, wieder für lange Zeit nichts mehr zu bekommen, aber es blieb doch eine halbe Schale übrig. Diese nutzte sie, um sich ein wenig zu reinigen. Dann legten sich beide nieder, um zu schlafen.

Doch noch vor der Morgendämmerung stieß Nardo seine Sklavin an: »Ich glaube ich weiß, was hier los ist«

»Was meinst du, Herr?«, fragte sie unsicher, noch halb im Schlaf.

»Ich wette, die Biester haben uns fürs Ficken bezahlt! Das hier ist eine verdammte Peepshow!«

Gianna hatte mit einem Winkel ihres Hinterkopfs auch schon so etwas gedacht, aber den Gedanken sofort wieder verworfen. »Das kann doch nicht sein, Herr. Diese Wesen sind viel zu fremdartig, um irgendetwas dabei zu finden, Menschen beim Sex zuzusehen!«

»Ich weiß nicht, warum, aber ich bin überzeugt, dass es genau so ist. Und wir werden das jetzt ausprobieren. Komm!«

»Herr, bitte! Es muss bald hell werden.«

»Das ist egal. Ich denke, die Viecher können sowieso irgendwie im Dunkeln sehen. Hast du nicht gemerkt, wie sicher das Biest uns die Früchte und das Wasser gebracht hat?«

»Ja. Aber bitte, Herr. Lass es uns auf die nächste Dunkelphase verschieben.«

Da war Nardo über ihr und packte sie grob an den Haaren. »Ich habe genug von deiner Insubordination, Kajira!«, knirschte er, riss sie hoch und versetzte ihr zwei harte Ohrfeigen. Dann streckte er seine Beine aus und legte sie quer darüber. Gianna schrie erst überrascht, dann immer gequälter auf, als er systematisch mit der flachen Hand ihren Hintern bearbeitete. Sie zappelte verzweifelt und versuchte, sich zu befreien, aber es war hoffnungslos. Er war ihr körperlich weit überlegen.

Endlich hatte er genug, und das Schlagen wurde allmählich zum Streicheln. Zuerst über den gequälten Po, dann aber auch auf die Oberschenkel, die Innenseite der Oberschenkel, bis fast zu den Schamlippen, aber nicht ganz. So ging er mehrmals hin und her, strich nach oben bis zur Schulter, dem Nacken und dem Kopf, dann wieder nach unten zwischen die Schenkel. Der rasende Schmerz am Po wurde zu einem warmen Glühen, das bis ins Lustzentrum ausstrahlte. Wenn er sie nur endlich dort berühren würde! »Bitte …«, stöhnte sie. Als sein Finger die Pforte dann berührte, raste eine Welle der Lust durch ihren Körper. Ein lautes Stöhnen konnte sie nicht unterdrücken und Nardo, ungewohnt zartfühlend, teilte sanft ihre Schamlippen und massierte ihr Innerstes. Der Schmerz war bald vergessen, sie war nur noch Lust! Doch bevor sie kam, drehte Nardo sie auf den Rücken und legte sich über sie. Er küsste ihren Mund und ihre Brüste und führte seinen Penis in sie ein. Gianna bäumte sich auf, als er sie mit immer heftigeren Stößen zum Orgasmus trieb und fast gleichzeitig abspritzte. Bebend blieben beide noch aufeinander und ineinander liegen, bis sie von lautem Rascheln und Klappern in die Wirklichkeit zurückgeholt wurden. Als sie um sich tasteten, erkannten sie: Die Ameisen hatten große Mengen Nahrung und genug Wasser gebracht, um eine Badewanne zu füllen. »Siehst du«, brummte Nardo und begann zu essen, »Bezahlung!« Im ersten Schimmer der Morgendämmerung wuschen sie sich ausgiebig, sogar für die Haare reichte das Wasser.

Die Ameisen waren unruhig. Man hörte Geraschel und Getrappel von vielen Füßen, aber es war noch zu dunkel, um etwas Genaueres zu erkennen. Und als es hell wurde, passierte etwas Unerwartetes: Das Shuttle der »Santa Maria« kreischte über den Himmel heran, zog einige Kreise und ging dann direkt über ihnen nieder. Gianna und Nardo sprangen auf und winkten: »Hey, Ivan! Hier sind wir!«

Auf einmal wurden sie von hinten gestoßen, gingen zu Boden, und im nächsten Moment waren die Ameisen über ihnen. So viele bedeckten sie, dass vom Himmel nichts mehr zu sehen war. Die Tiere verletzten sie nicht, sondern traten sorgfältig über sie, ohne sie zu berühren. Doch der grausige Ameisenkopf mit seinen furchterregenden Beißwerkzeugen dicht über ihrem Gesicht machte Gianna fast wahnsinnig vor Angst. Nardo hatte mehr Glück, er war mit dem Gesicht nach unten zu Boden gegangen. Verzweifelt hob Gianna die Hände, als die Ameise sich unter dem Druck der auf ihr stehenden Artgenossen immer dichter auf Gianna senkte. Es war dasjenige Exemplar, das kleinere Kiefer, als die anderen Wächter hatte. Aber sie waren immer noch bedrohlich genug. Oberhalb der Kiefer waren mehr als halbmeterlange dünne Fühler. Und zwischen den Fühlern waren weiche antennenartige, verzweigte Gebilde, die sich lebhaft hin und her bewegten. Als Gianna diese tastenden Tentakel wegdrücken wollte, durchfuhr sie ein Blitz.

Bilder, die sie noch nie gesehen hatte, stürmten auf sie ein. Sie blieb Gianna, aber sie wurde auch zu einem Teil des Volkes. Sie sah sich selbst als Menschen und als Monster gleichzeitig. Sie wurde Teil der Kollektivprojektion, ohne mit diesem Begriff wirklich etwas anfangen zu können. Sie verstand, dass das Volk ein Individuum mit Tausenden von unabhängig handlungsfähigen Gliedern war, die über eine Art Telepathie durch die Antennen kontrolliert wurden. Dass die einzelnen Ameisen in Wirklichkeit Sinnesorgane und Hände des Volkes waren und nur wenig eigene Individualität und Entscheidungsspielraum besaßen.

Gianna verstand.

Und sie wusste, dass dasselbe auch in umgekehrter Richtung geschah. Dass die namenlose Biologin Bilder aus ihrem, Giannas, Kopf aufnahm und dem Kollektiv zugänglich machte. Fast alles, was Gianna ausmachte, wurde in dieser Sekunde unwiderruflich Teil des Kollektivintellekts des Volkes.

Natürlich war es ihr ohne weitere Aufforderung klar, dass sie den Ameisen, die jetzt wieder von ihnen herunter geklettert waren, nun in den Bau folgen mussten, damit das Shuttle sie nicht mehr finden konnte. Ein Teil von ihr wollte vom Shuttle gefunden werden, aber es war ihr klar, dass das Volk sie niemals lebend gehen lassen würde. Also nahm sie Nardos Hand und zog ihn, der sich widerstandslos führen ließ, zum Eingang des Baus. Sie bekamen eine Kammer zugewiesen, von der aus man den Himmel nicht sehen konnte, und deren Ausgang von einer einzigen Soldatin bewacht wurde. Die Biologin war weg, und Gianna vermisste sie bereits. Der Kontakt mit dem Volk hatte ihr ein Gefühl der Heimat, des Dazugehörens gegeben, wie sie es in ihrem ganzen bisherigen Leben noch nie gehabt hatte. Und jetzt? Jetzt fühlte sie wieder die unendliche Einsamkeit, in der jeder Mensch steckte, weil Menschen nicht zu Kollektivprojektion fähig waren. Einzig ein gemeinsamer Orgasmus brachte zwei Menschen ein klein wenig von dieser völligen Vereinigung, in der das Volk permanent lebte.


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